Danziger
Naturforschende Gesellschaft

Societas Physicae Experimentalis...

 

Danziger Naturforschende Gesellschaft



Die Danziger Naturforschende Gesellschaft


Schon in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erfolgte angesichts des Aufschwungs der modernen Naturwissenschaften, der großen Entdeckungen in Mathematik, Mechanik und Astronomie sowie der neuen Erkenntnisse des Natur- und des Völkerrechts in breiten Kreisen des Bürgertums eine Beschäftigung und Auseinandersetzung mit den jüngsten literarischen, philologischen und naturwissenschaftlichen Erkenntnissen. Ihre Resultate blieben nicht einem abgeschlossenen, elitär-wissenschaftlichen Kreis vorbehalten, sondern interessierten die gebildete Bevölkerungsschicht, die auch an wissenschaftlichen Experimenten ihre Freude hatte. Die Folge war die Bildung von literarischen, patriotischen und gelehrten Gesellschaften. Dies war eine Begleiterscheinung der europäischen Aufklärung und zugleich Ausdruck des Emanzipationsprozesses vor allem des Bürgertums des 18. Jahrhunderts.


Die Naturforschende Gesellschaft in Danzig (lat. Societas Physicae Experimentalis, poln. Gdańskie Towarzystwo Przyrodnicze) verdankt diesem Interesse ihre Existenz. Sie wurde 1743 in Danzig vom Privatgelehrten Daniel Gralath und dessen Schwiegervater, dem Stadtschreiber Jacob Theodor Klein, genannt Gedanensium Plinius, gegründet (vgl. dazu und zum Folgenden insbesondere: Letkemann, Peter, Die Naturforschende Gesellschaft Danzig. Geschichte und Entwicklung, in: Gornig, Gilbert H. (Hrsg.), Deutsch-polnische Begegnung zu Wissenschaft und Forschung, Societas Physicae Experimentalis, Schriftenreihe der Danziger Naturforschenden Gesellschaft, Band 1, 1997, S. 19-25).


Die politisch unruhigen Zeiten vor und nach 1800 gingen allerdings auch an der Naturforschenden Gesellschaft nicht spurlos vorüber. Trotz Erneuerung der Statuten und Vermehrung des Personals blieben sowohl die Resonanz beim (wissenschaftlichen) Publikum als auch der Arbeitseifer der Forscher gering. Im Jahre 1812 war die Lage so aussichtslos, dass der damalige Vorsitzende Dr. Kleefeld die Auflösung der Gesellschaft beantragte, allerdings lehnten die wenigen opferwilligen Mitglieder dieses Ansinnen ab. In jener Zeit hatte sich bereits ein neues Arbeitsgebiet – ohnehin mit großer Tradition in Danzig – aufgetan: die Astronomie. Zwar fanden schon im vorigen Jahrhundert astronomische Beobachtungen statt, die dann von dem aus Konitz stammenden Arzt und Naturwissenschaftler Nathanael von Wolf (1724-1784) systematisiert und, nachdem dieser auf dem Bischofsberg oberhalb Danzigs auf eigene Kosten eine Sternwarte hatte bauen lassen, entscheidend vorangebracht worden waren. Wolf vermachte die Sternwarte der Naturforschenden Gesellschaft zusammen mit einer ansehnlichen Stiftung zu ihrem Unterhalt. 1813 fiel sie den Kriegsereignissen zum Opfer. Die recht veralteten Mitglieds- und Arbeitsstrukturen ließen die Gesellschaft nur schwer den Anschluss an die neue Zeit finden. Nach 1815 schaffte man das Eintrittsgeld ab und zog dadurch viele angesehene Gelehrte heran, konnte aber den Ruf hoher Wissenschaftlichkeit nicht ablegen, der das Gremium der breiten Öffentlichkeit entfremdete.


Erst als die Stadt Danzig sich auf ihre früheren fruchtbaren Beziehungen zur Gesellschaft besann, trat ein Wandel ein. Der neue, selbstbewusste Oberbürgermeister Leopold von Winter setzte 1862 eine Statutenänderung durch, wonach fortan jeder interessierte Bewohner Danzigs als Mitglied zugelassen war und die Gesellschaft jetzt die oberste Zweckbestimmung erhielt, „die Naturwissenschaften nach allen Richtungen hin und unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse der Provinz zu fördern und zur Erweiterung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse unter den Bewohnern der Provinz beizutragen“. Infolgedessen trat der bisher eng geschlossene Kreis aus dem Schatten elitärer Gelehrsamkeit und öffnete sich dem breiten Publikum. Die Zahl der Mitglieder schnellte von 46 auf 382 (1882) und erreichte vor dem Ersten Weltkrieg mit 417 einheimischen und 142 auswärtigen einen vorläufigen Höchststand. Bereits 1845 hatte die Gesellschaft ihren Sitz in dem hochaufragenden Renaissancebau an der Mottlau neben dem Frauentor genommen, auf dessen Turm später eine Drehkuppel errichtet wurde. Dieses Gebäude verlieh dem weltbekannten Panorama der Danziger „Langen Brücke“ einen besonderen Akzent. In der langen Liste der in- und ausländischen Gäste muss der Name Alexander von Humboldts genannt sein, der im September 1840, den neuen preußischen König Friedrich Wilhelm IV. auf dessen Huldigungsreise nach Königsberg begleitend, in Danzig als Gast der Vereinigung weilte und mit der Ehrenmitgliedschaft ausgezeichnet wurde. An seinem 100. Geburtstag 1869 stiftete die Gesellschaft ein Humboldt-Stipendium zur Unterstützung naturwissenschaftlicher Arbeiten, insbesondere zur Förderung des Nachwuchses. Dieser Gelehrtenkreis erfuhr dann mit der Errichtung der Technischen Hochschule im Jahre 1904 einen weiteren Aufschwung. Die Naturforschende Gesellschaft half, für diese wichtige Institution den Boden zu bereiten, deren Forscherarbeit nun eine ideale Ergänzung darstellte und als Fortsetzung des ursprünglichen Zwecks der Gesellschaft anzusehen war. Ihre kostbare Bibliothek hatte, gleichsam als äußeres Zeichen dieses Zusammenwirkens, in den 20er Jahren in der Technischen Hochschule Aufnahme gefunden, während die umfangreichen naturkundlichen Sammlungen bereits zuvor dem 1879 begründeten Westpreußischen Provinzial-Museum übergeben worden und ins Grüne Tor zurückgekehrt waren. Die eigenen wissenschaftlichen Leistungen finden sich festgehalten in der langen Reihe der bereits 1747 einsetzenden Schriften und Einzelwerke und künden von der intensiven Beschäftigung mit fast allen Erscheinungen der Natur, des Lebens und der geistigen Evolution. Berühmte Wissenschaftler wie Georg Carl Berendt, Adolf Butenandt, Daniel Gabriel Fahrenheit, Daniel Gralath, Johannes Hevelius, Nathanael Matthäus von Wolff waren Mitglieder der Gesellschaft (vgl. hierzu: http://www.danzigernfg.com/danziger.html).


Kurz nach dem 200. Stiftungsfest endete mit der Zerstörung Danzigs 1945 das so erfolgreiche Wirken dieser mit dem Geistesleben der Stadt untrennbar verbundenen Körperschaft. Viele unschätzbare Werte gingen dabei verloren. Das zerstörte Haus am Mottlau-Ufer wurde nach Kriegsende wieder aufgebaut und beherbergt heute das Danziger Archäologische Museum.


Die Naturforschende Gesellschaft zu Danzig Societas Physicae Experimentalis gewann zwar hohes internationales Ansehen, musste mit Kriegsende 1945 aber ihre Aktivitäten einstellen und wurde am 19. Februar 1994 in Lübeck als eingetragener Verein von den vertriebenen Danzigern und weiteren Freunden wieder ins Leben gerufen. Wie nach der alten Satzung auch, ist Zweck der Gesellschaft, insbesondere Naturwissenschaften in allen ihren Richtungen zu fördern sowie zur Erweiterung und Verbreitung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse beizutragen.


Lübeck bot sich als neuer Sitz der Naturforschenden Gesellschaft an. Die erste Tagung der Danziger Naturforschenden Gesellschaft, die damals deutsch-polnische Begegnung zu Wissenschaft und Forschung hieß, fand in der Ostseeakademie vom 14. bis 16. Juli 1996 statt, also vor nahezu 20 Jahren. Polnische Gelehrte, vor allem aus dem heutigen Danzig, trafen mit deutschen Kollegen, einige aus Danzig stammend, zusammen, um wissenschaftliche Themen auf der Grundlage von Referaten gemeinsam zu erörtern und zu bewältigen. Die erste Tagung widmete sich unter anderem, wie alle späteren Tagungen auch, der Stadt Danzig und ihren Persönlichkeiten. Im Mittelpunkt standen geologische Fragen, Windwellenströmung und Küstenmorphologie, wirtschaftsgeografische Untersuchungen und der Biotop- und Artenschutz an der deutschen Ostseeküste. Die vierte Tagung fand im September 1999 zum ersten Mal im Raum Danzig statt. Tagungsort war allerdings das Institut für Seefahrts- und Tropenmedizin in Gdingen, das vom Direktor des Instituts, Dr. med. Wisław Renke, mit dem zum Institut gehörenden Hotel auch für Unterbringung und Verpflegung zur Verfügung gestellt wurde. Im Sinne der Satzung der 1743 gegründeten traditionsreichen Naturforschenden Gesellschaft zu Danzig war das wesentliche Anliegen auch dieser Tagung, das Fundament für die Verständigung zwischen den vertriebenen Danzigern und den jetzt in Danzig lebenden Polen zu fördern und damit die Entwicklung einer weltoffenen europäischen zwischenstaatlich orientierten Gesellschaft auszubauen, in der die Menschen ohne das Empfinden behindernder Grenzen miteinander leben können. Dieser Grundgedanke wurde im Rahmen der Tagung in bemerkenswerter deutsch-polnischer Übereinstimmung durch eine „Gemeinsame Erklärung“ zum Zwecke der Förderung der beiderseitigen Beziehungen auf dem Wege der wissenschaftlichen Kooperation unterstrichen, die in einem feierlichen Akt im Weißen Saal des rechtstädtischen Rathauses in Danzig in Anwesenheit von etwa 100 deutschen und polnischen Gästen unterzeichnet wurde. Mit der Unterzeichnung dieses Dokuments der Präsidenten und Generalsekretäre der polnischen Gdanskie Towarzystwo Naukowe (Danziger Wissenschaftliche Gesellschaft) und der Danziger Naturforschenden Gesellschaft ist nach Überzeugung der Mitwirkenden ein beachtlicher Schritt auf dem Wege künstlicher Zusammenarbeit und gegenseitiger Achtung erreicht worden. Diese erfreuliche, optimistische Einschätzung des vortretenden Einflusses der „Gemeinsamen Erklärung“, wurde durch die betont freundlichen Ansprachen bestätigt, die von polnischen und deutschen Honoratioren vor dem Unterzeichnungsakt gehalten wurden. Die Gemeinsame Erklärung ist im Anhang des vierten Bandes der Schriftenreihe der NFG abgedruckt.


Diese und alle weiteren diese Tagungen wären nicht möglich gewesen ohne die hilfreiche Unterstützung des Bundesministeriums des Inneren, dem Staatsminister für Kultur und Medien, dem Kulturwerk Danzig, dem Bund der Danziger, der Ostseegesellschaft Lübeck-Travemünde, dem Naturwissenschaftlichen Verein in Hamburg und dem Verband deutscher Biologen, der Stiftung Nordostdeutsches Kulturwerk, aber auch der Stadt Danzig, der Stadt Lübeck, dem Bundesverwaltungsamt, der Stiftung für deutsch-polnischen Zusammenarbeit in Warschau, dem Institut für Seefahrts- und Tropenmedizin in Gdingen, der Sparkasse Lübeck, der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung, der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Jarchowstiftung in Lübeck, dem Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein, der Robert-Bosch-Stiftung. Die Tagungsbeiträge konnten in der Regel mit Hilfe der finanziellen Förderung durch das Bundesministerium des Inneren publiziert werden.
Es ist zu hoffen, dass auch in Zeiten der knapp gewordenen finanziellen Ressourcen es der Gesellschaft weiterhin vergönnt ist, in deutsch-polnischer Zusammenarbeit die deutsch-polnischen Begegnungen durchzuführen und die Ergebnisse dieser Tagung zu publizieren. Seit 2017 finden die Tagungen gemeinsam mit dem Kulturwerk Danzig e. V. statt.

Professor Dr. Dr. h.c. mult. Gilbert Gornig
Präsident der Danziger Naturforschenden Gesellschaft

 

Danziger Naturforschende Gesellschaft  • Pfarracker 4  •  35043 Marburg
Telefon: +49(0)6421 16 35 66  •  gornig@staff.uni-marburg.de


Designed byTemplatesLand